Literatur über Gottfried Mairwöger

Interview von Wolfgang Drechsler mit Gottfried Mairwöger

 

Interview anlässlich der Mumok Ausstellung „Einfach gute Malerei“ 1983, abgedruckt im Ausstellungskatalog

 

 

 

 

Drechsler: Dein Werk wird oft mit der Arbeit Deines Lehrers Wolfgang Hollegha in Beziehung gesetzt. Wie siehst Du die Bedeutung der Akademiezeit für Dich?

 

 

Mairwöger: Es war bei mir wirklich ein reiner Glücksfall, dass ich mich mit Wolfgang Hollegha persönlich gut verstanden habe. Da habe ich zum ersten Mal einen Künstler näher kennengelernt. Es ist sicher sehr wichtig, dass die Temperamente von Lehrer und Schüler ähnlich oder in einem interessanten Gegensatz sind; ich glaube, nur so kann man wirklich etwas profitieren von einem Lehrer. Ganz sicher lag darin auch eine große Gefahr: Aber das war bei den Schülern von Raffael oder anderen alten Meistern sicher auch sehr ähnlich. Wenn ein Schüler stark genug war, hat er sich rechtzeitig abgesetzt. Ich hab ja auch versucht, wegzukommen von Hollegha und habe mir alte und zeitgenössische Maler angeschaut.

 

 

Drechsler: Was hat Dich an deren Werk interessiert?

 

 

Mairwöger: Es ist schon das sogenannte Malerische natürlich, das mich sehr interessiert. Z. B. interessiert mich ein Dürer-Selbstbildnis, das ja sehr viele graphische Elemente enthält, weniger als ein Bild von Tizian, der einfach flächiger arbeitet. Das hat sicher mit meiner Anschauung von Malerei zu tun. Aber dieselben malerischen Aspekte gibt es auch bei Malern, die in hart abgegrenzten Flächen arbeiten, z. B. Piero della Francesca bei seinen Fresken. Das Malerische, wie ich es verstehe, liegt vor allem in den Farbflächen und wie sie in der Komposition auf der Bildebene verteilt sind, in einen spannungsvollen Zustand versetzt werden. Z. B. kann ich auch einen Vermeer umdrehen und ich sehe genau, warum das Rot dort richtig ist und diese Kurve hier. Ich habe eben nicht zwei Paar Augen, eines für abstrakte und eines für gegenständliche Bilder.

 

 

Drechsler: Und gibt es für Dich auch eine emotionelle Seite beim Betrachten dieser Bilder?

 

 

Mairwöger: Sicherlich, z. B. bei dem Bild von Vermeer in Wien: Das berührt mich anders als andere Bilder, auf eine Weise, die ich unheimlich und großartig finde, dass man sozusagen eine Saite anschlagen kann, in einem. Da ist sehr viel Geheimnis drinnen. Das ist eine Art Liebe, irgendwie, diese Verquickung von analytischem Anschauen und gefühlsmäßigem Empfinden.

 

 

Drechsler: Das hat viel mit Deiner Arbeit zu tun, die ja auch zufällig entstanden ausschaut und doch sehr genau komponiert ist.

 

 

Mairwöger: Einerseits wünsche ich ein sehr konkretes und in sich logisches Bild, andererseits aber will ich der Spontaneität und Überraschung während des Malens viel Platz geben. Diese Spontaneität und dieses Suchen, diese Abfolge von Malabläufen sind sehr persönliche Äußerungen, die man als Künstler einfach weitergeben will. Wenn das für den Betrachter sichtbar wird und der sich denkt, der Maler hat ja Sachen riskiert auf dem Bild, die neu sind und interessant, dann stimmt das Bild und ist eine Einheit, die man nie zuvor gekannt hat.

 

 

Drechsler: Glaubst Du an diese Fähigkeit beim Publikum?

 

 

Mairwöger: Ein Bild lebt ja nur, wenn der Betrachter die richtige emotionelle Beziehung zum Bild hat und den nötigen Verstand und die kunstgeschichtliche Vorbildung mitbringt.

 

 

Drechsler: Du glaubst nicht, dass man ein Bild einfach „aus dem Bauch heraus" verstehen kann, ohne dass man eine Ahnung hat, „woher" es eigentlich entstanden ist?

 

 

Mairwöger: Ich finde, das ist ein „Niedrig-Wissen". Man sieht das Bild eigentlich nicht, wie man es sehen könnte, weil einfach viel fehlt, die ganz große Seherfahrung. Es ist vielleicht so: Manche Leute sind geboren zum Anschauen von Bildern, andere nicht. Die können es vielleicht über den Verstand literarisch begreifen, formal verstehen sie es nicht. Dafür gibt es aber Leute, die haben vielleicht einen Genuss, wenn sie Mathematik lesen — wahrscheinlich auch einen ästhetischen Genuss.

 

 

Drechsler: Glaubst Du, dass heute mehr Menschen die zeitgenössische Kunst verstehen als früher?

 

 

Mairwöger: Die Gruppe der Experten ist sicherlich größer geworden.

 

 

Drechsler: Dabei wird doch oft behauptet, dass die Kunst früher verständlicher war als heute.

 

 

Mairwöger: Naja verständlicher ... Die Leute haben sie sicher nur zu 10% verstanden, wahrscheinlich waren sie zufrieden, wenn sie die repräsentative Seite eines Bildes verstanden haben, aber nicht die künstlerische. Wenn Leute, die nicht trainiert sind im Sehen, heute Bilder anschauen, die geben sich auch schnell zufrieden, wenn sie in einem Stillleben ein paar Äpfel sehen, das kann auch schlecht gemalt sein. Aber sie sind zufriedener als mit einem ungegenständlichen, aber sehr guten Bild. Da können sie nicht unterscheiden.

 

 

Drechsler: Deine frühen Arbeiten waren noch stark von der Landschaft bestimmt, sie waren noch keine reine Abstraktion.

 

 

Mairwöger: Ich habe mich schon gezwungen zur reinen Abstraktion und schon auf der Akademie die Motive dementsprechend gewählt: Z. B. die Baumallee in Murau. Da waren Baumstämme so kreuz und quer, da habe ich einen Grund gesehen zur Abstraktion. Aber ich habe mich damals noch nicht getraut, sozusagen aus dem Kopf ein abstraktes Bild zu machen, wie ich es heute tue. Aber mein „Vokabular" habe ich mir aus Naturmotiven geholt.

 

 

Drechsler: Gerade die Künstler, die Du so schätzt, Morris Louis oder Rothko, haben ihre größten, eigenständigen Leistungen erst mit 40 Jahren erbracht. Glaubst Du als 30jähriger schon irgendetwas aussagen zu können?

 

 

Mairwöger: Ich glaube, es dauert immer länger, um reif zu werden, heutzutage. Es ist wahnsinnig schwierig und langwierig, die wirklich große Aussage zu machen.

 

 

Drechsler: Denkt man da nicht manchmal: Hoppla, da bin ich angestoßen, wo geht es da eigentlich weiter?

 

 

Mairwöger: Das kommt man drauf, wenn man z. B. die eigenen neuen Arbeiten mit den früheren vergleicht. Man ist enttäuscht, wenn man Bilder macht, die nicht so gelingen wie vielleicht ein paar frühere. Dann könnte man leicht traurig werden und denken: Ja früher habe ich das gemacht, warum geht es jetzt nicht — einfach von der Qualität her. Aber damit hat man immer zu kämpfen. Ich stelle mich auch immer wieder neuen Problemen.

 

 

Drechsler: Besteht nicht die Gefahr, dass man eine einmal erreichte Stufe — beispielsweise der Abstraktion — einfach wiederholt?

 

 

Mairwöger: Es gibt solche Maler — auch solche, die ich sehr schätze, wie zum Beispiel Barnett Newman. Bei dem könnte man meinen: Na, der hat aber eine sehr enge Bildsprache. In seiner reifen Zeit sind das, vom Formalen her gesehen, ja eigentlich nur die Streifen, die vertikal geteilten Leinwände. Aber die Qualität in seinen Bildern liegt eben wo anders. Ich glaube, einfach in der großartigen Ausnützung dieser Beschränkung.