Literatur über Gottfried Mairwöger

Kenworth Moffett - Die neue Generation: Ein Museumsmann wählt aus

 Der US-amerikanische Kurator Kenworth Moffett verfasste diesen Text anlässlich der Ausstellung „The New Generation: A Curator's Choice“ - eine Gruppenausstellung mit Douglas Abercrombie, Joseph Drapell, Jennifer Durrant, Harold Feist, Paul Fournier, John Griefen, Darryl Hughto, Gottfried Mairwöger, John McLean, Kikou Saito, Sandi Slone und Carol Sutton in der legendären André Emmerich Gallery, New York. Im Rahmen einer Wanderausstellung wurde diese Werkschau auch 1981 im American Center, Paris, im Amerika- Haus, Berlin, sowie in Lissabon und Porto/ Portugal gezeigt.

 

 

Die meisten Maler, deren Arbeiten in dieser Ausstellung gezeigt werden, stehen in ihren späten dreißiger oder frühen vierziger Jahren.1 Alle haben wenigstens eine Reihe von Bildern gemacht, die ich für reif halte, aber niemand von ihnen ist allgemein bekannt. Sie alle sind Teil einer Gruppe, die sich schon Mitte der siebziger Jahre bemerkbar machte und deren Zahl seitdem ständig zugenommen hat. Da so viele gute Maler so schnell aufeinanderfolgend auf der Szene erschienen sind, neige ich dazu, sie als eine Generation zu betrachten.2

 

 

Gewiss standen mir viele gute abstrakte Maler zur Auswahl; es fiel mir schwer, mich auf zwölf zu beschränken. Ein erstaunlich großer Teil der besten neuen Arbeiten kommt aus Kanada. Auch gibt es jetzt in London weit mehr gute abstrakte Künstler als vor zehn Jahren, von denen die meisten Maler sind. (Einige, so John McLean und Douglas Abercrombie, sind von Schottland nach London gezogen.) Hätte ich mich auf abstrakte Maler aus den Vereinigten Staaten beschrankt, so hätte ich wohl etwas ausgelassen, was im Augenblick einzigartig ist. Obwohl ich mich also auf zwölf Maler beschränken musste, wollte ich doch auf diese neue Generation als ein internationales Phänomen hinweisen. Dieser größere Internationalismus ist vielleicht dem Internationalismus der gegenstandslosen Malerei in ihren frühesten Jahren ähnlich. Er bezeichnet gewiss einen bedeutsamen Umschwung. Vom Zweiten Weltkrieg an bis vor kurzem haben sich alle wichtigen Richtungen in der abstrakten Malerei, wenn auch nicht in der abstrakten Plastik, in den Vereinigten Staaten entwickelt. Der größte Ausnahmefall war der kanadische Maler Jack Bush, der auf entscheidende Weise von der amerikanischen Malerei beeinflusst wurde.

 

 

Nun scheint es, dass derselbe Einfluss in Kanada und in Großbritannien Wurzeln gefasst hat. Die Maler Europas haben die neuen amerikanischen Entwicklungen viel langsamer aufgenommen. Die Ausnahme hier ist der Österreicher Wolfgang Hollegha, der in den späten fünfziger Jahren kurz, indes bedeutend, von der amerikanischen Malerei beeinflusst wurde. Der junge Gottfried Mairwöger erhielt seine Ausbildung bei Hollegha. Die Werke vieler dieser Maler dürften als „Farbfeldmalerei" (color field painting) bezeichnet werden, wenn ich einen augenblicklich modischen Ausdruck verwenden darf. Jedoch ist diese Bezeichnung für die Werke anderer Maler nicht anwendbar. Manche Bilder betonen die Figur-Grund-Beziehung ebenso wie ungebrochene „Farbfelder". Und einige verlassen sich ebensoviel auf texturale und/oder verminderte, aber verfeinerte Helldunkel-Kontraste, wie auf Farbe an sich. Dennoch, das gemeinsamste Merkmal dieser Art Malerei, zusammen mit der expansiven Geste und den Größendimensionen, ist die Bedeutung, die sie der Farbe einräumt. Was aber diese Maler noch mehr als die visuelle Eigentümlichkeit ihrer Arbeit vereinigt, ist ihre gemeinsame Vorstellung von der jüngsten Vergangenheit. Wie Clement Greenberg schrieb: „Der Künstler nähert sich der Reife durch eine Reihe von Erfahrungen des Geschmacks, Entscheidungen des Geschmacks. Dadurch verbindet er sich mit der vorhergehenden Kunst und entscheidend mit der ihm unmittelbar vorhergehenden Kunst. Dabei beginnt er zu entscheiden, wie ehrgeizig er sein wird.

 

Diejenigen, die sich als die besten Maler (oder Schriftsteller oder Komponisten oder Schauspieler) herausgestellt haben, waren meistens diejenigen, oder unter denen, die die beste — oder doch genug der besten — Kunst in der ihnen unmittelbar vorhergehenden Kunst auslesen konnten. Das Ausleseverfahren ist eine notwendige, wenn auch ungenügende Voraussetzung für die Entwicklung ihrer Kunst:3

 

Der allgemeine Kunstgeschmack dieser Maler wurde von dem schottischen Kritiker Duncan MacMillan folgendermaßen beschrieben: „ .. . die amerikanische Nachkriegsmalerei deutet ohne Zweifel auf die Hauptrichtung der modernen Kunst der letzten dreißig Jahren hin. Sie ist Nachfolge der großen Leistung der französischen Malerei."4 Ich glaube, dass jeder Maler, dessen Werke hier angeboten werden, mit diesen Worten einverstanden wäre. Alle haben ihre Herkunft in der modernen amerikanischen abstrakten Malerei. Am besten kann ich sie Ihnen vorstellen und Ihnen zeigen, wie ihre Werke in Beziehung zu einander stehen, indem ich die Hauptrichtung der modernen amerikanischen Malerei andeute. Das will ich hier versuchen. Alle frühen europäischen Modernisten, deren Werk uns als erfüllt und verwirklicht dünkt, spielten eine große Rolle in der Entwicklung der abstrakten Kunst: Picasso, Braque, Léger, Matisse, Klee und Miró. Sie hielten aber, wie immer schematisch auch, an der Natur fest. Ihre Werke waren genau genommen nicht „gegenstandslos". Gegenstandslose Maler wie Malewitsch, Kandinsky oder Mondrian befassten sich mehr mit der Unterscheidung von figurativen Bildern und solchen ohne figurative Züge. Manche behaupteten sogar, dass die gegenstandslose Kunst eine „neue Realität" anböte, welche sie mehr oder weniger von der Imitation der Realität unterschieden. Gegenstandslose Kunst sei reineres Schaffen als gegenständliche Kunst.

 

 

Dieser Gedanke, der Gedanke einer kreativeren gegenstandslosen Kunst ist schon seit fast siebzig Jahren wohlbekannt. Aber es stellte sich heraus, dass der Gedanke viel einfacher als die Ausführung war. Ich glaube, das kam daher, dass es einfach keine Vorbilder dafür gab: wo oder wie sollte man anfangen? Die frühesten gegenstandslosen Künstler übernahmen also ganz natürlich Konventionen, die für die figurative Kunst entwickelt worden waren: man malte hauptsächlich in Öl mit einem in der Hand gehaltenen Pinsel; man malte Bilder in der Größe der Staffelei, und nur selten Größeres; man behandelte jedes Bild mit Sorgfalt, statt viele Bilder in einem Zug zu malen und sie dann auszulesen, wie z.B. ein Keramiker oder ein Fotograf es tun würde; man malte gerade und auf ausgespannter Leinwand, und solche Bilder enthielten „Formen", die man zuerst den Farbwertabstufungen nach anordnete, d.h., der Zeichnung nach. Dies waren alles althergebrachte Bräuche, die die abendländische Kunst entwickelte, um gegenständlich, d.h. imitativ zu malen. Es stellte sich heraus, dass gegenstandslose Malerei ihre eigenen Bedürfnisse und Möglichkeiten hatte, die man nur frei entwickeln und untersuchen konnte, wenn man die traditionellen Konventionen als bloße Konventionen, d.h. wenn man sie als Möglichkeit statt als Voraussetzung betrachtete. Wie sich zeigte, dauerte es lange, bis dies durchgearbeitet war. Mittlerweile konnten die gegenstandslosen Maler nur von gegenständlichen Vorbildern „abstrahieren" und dabei deren Voraussetzungen übernehmen. Und als es dann zur, strikt betrachtet, gegenstandslosen Kunst kam, bedeutete Abstrahieren sehr oft Geometrie und Reduktion. Dies konnte limitierend sein, ja ein abstrahierender Ansatz legte den großen Pionieren der gegenstandslosen Kunst Restriktionen auf — Künstlern wie Malewitsch, Delaunay, Kupka, Kandinsky, Mondrian, Brancusi und die Konstruktivisten. Diese Beschränkung wurde noch deutlicher in der nächsten Generation der gegenstandslosen Künstler, die in den dreißiger Jahren auftrat.5

 

 

Wenn Abstrahierung gewisse Konventionen implizierte und die gegenstandslose Kunst zur Reduktion und deshalb einer gewissen Beschränkung und Wiederholung drängte, so versprach die 1912 entwickelte Collage einen ganz anderen Ansatz. Im breitesten Sinne verstanden, bedeutet Collage, dass man mit Teilen der dreidimensionalen Welt beginnt und sie zu einem neuen Ganzen zusammensetzt, anstatt mit einem schon aus der sichtbaren Welt vorhandenen Ganzen anzufangen (wie bei aller figurativen und angewandten Kunst). Im Gegensatz zum „Abstrahieren" ist der Ausgangspunkt der Collage additiv; man könnte es als „Konstruieren" bezeichnen. Oder man könnte „Machen" statt „Anpassen" sagen. 6 Man konstruiert aus unterschiedlichen physischen Partikeln, statt mit einem Objekt oder Thema anzufangen. Es ist eine Frage der Einstellung, der Disposition und des Prozesses, und wie man Materialien behandelt. Der Arbeitsprozess ist ganz anders als bei herkömmlicher Kunst. Der Collage eng verknüpft ist die konstruierte Plastik, die auch im Jahre 1912 von Picasso erfunden wurde, die aber von ihm selbst erst zwanzig Jahre später ernst genommen wurde (und dann nur unter dem Einfluss von Gonzalez).

 

 

Erst mit David Smith widmete sich ein großes Talent ganz der neuen Kunstform. Am Ende der fünfziger Jahre konstruierte Anthony Caro, indem er Smith als Vorbild nahm, die erste völlig gegenstandslose Skulptur. Er zeigte, dass die Plastik sogar ohne die wenigen Konventionen dieses Mediums, die Smith noch beibehalten hatte, auskommen konnte. In seinen frühesten Skulpturen entfernte Caro jede Andeutung eines Zentrums oder von Vertikalität; indem er den Sockel abschaffte und die Skulptur direkt auf den Boden setzte, zeigte er, wie sich die Plastik in alle Richtungen entwickeln konnte. Der Bildhauer arbeitet nicht mehr innerhalb eines angegebenen Rahmens, sondern er erfindet einen neuen.7  Er beginnt mit Teilen und baut ein neues Ganzes, ein Objekt, neu in der Welt mit seiner eigenen visuellen Logik und mit eigenem Leben. Dies scheint den Traum der gegenstandslosen Kunst zu erfüllen.

 

 

Für das Folgende wäre es nützlich, uns daran zu erinnern, dass Caro nicht nur von David Smith beeinflusst wurde, sondern auch von dem befreienden Beispiel Jackson Pollocks und der von Pollock herkommenden Malerei. Wir können die Bedeutung Pollocks vielleicht am besten verstehen, wenn wir uns seine Tropfmalerei als der Collage ähnlich vorstellen. Es ist, als ob Pollock seine Materialien für körperlich und dreidimensional gehalten habe, genauso wie Picasso und Braque sie in ihren Collagen verwandt hatten. Er kombinierte schöpferisch Farbe und Leinwand zu einem neuen Bildganzen, einem neuen Objekt in der Welt, dessen Charakter erst ganz am Schluss bestimmt wurde. „Meine Malerei stammt nicht von der Staffelei. Ich spanne die Leinwand so gut wie nie vor dem Malen auf. Es ist mir lieber, die ungespannte Leinwand an der Wand oder auf dem Boden zu befestigen. Ich bedarf des Widerstands einer harten Fläche. Ich fühle mich auf dem Boden wohler. Ich fühle mich meiner Malerei näher und bin ein wesentlicher Bestandteil von ihr, da ich um sie herumgehen kann, da ich von allen vier Seiten arbeiten kann und buchstäblich ‚innerhalb' des Bildes stehen kann. Dies ist der indianischen Sandmalerei des Westens ähnlich. Ich rücke immer weiter ab von den üblichen Werkzeugen des Malers: Staffelei, Palette, Pinsel, usw. Mir sind Stöcke, Maurerkellen, Messer und tropfende flüssige Farbe oder ein schweres Impasto mit Sand, zerbrochenem Glas oder angereichert mit anderen Fremdstoffen lieber. Wenn ich ‚innerhalb' des Bildes stehe, weiß ich nicht, was ich tue. Ich brauche erst eine Weile, um das Bild kennenzulernen; dann weiß ich, was ich getan habe. Ich habe keine Angst davor, Änderungen zu machen oder die Figuration zu zerstören, denn das Bild hat sein Eigenleben. Ich versuche, es herauszulassen. Nur wenn ich nicht mehr mit dem Bilde Fühlung halte, gerät das Endergebnis in Unordnung. Sonst ist alles reine Harmonie, ein leichtes Geben und Nehmen und das Bild ist gelungen."8

 

 

Picasso und Braque hatten die Collage in die Malerei zurückübersetzt, indem sie ihr Aussehen nachahmten, während Pollock hier einen echteren Collage-artigen Malansatz beschreibt (wenigstens wenn wir damit einverstanden sind, die Bezeichnung Collage im weitesten Sinne als eine unbefangene Haltung dem Endergebnis gegenüber zu betrachten, und als eine sehr direkte Weise, alle Teile zu behandeln).9 Sowohl Pollocks „geschüttete" Bilder von 1947-1950 als auch seine „Stained Paintings" von 1951 zeigten, dass das Machen von abstrakter oder gegenstandsloser Kunst mehr mit einer Einstellung und Arbeitsweise zu tun hatte, als mit dem Da- oder Nicht-Dasein von figurativen Bezügen. Pollock hätte seinen künstlerischen Durchbruch ohne den Surrealismus nie erleben können. Der Surrealismus befahl dem Künstler, spontan zu arbeiten, um um die Konventionen herumzukommen und dabei „das Unbewusste" freizusetzen. Das half den Künstlern, sich experimentell mi ihrem Medium einzulassen, und einige ihrer neuen Art von Arbeitsweisen wie etwa der „Automatismus" (eine Art formfreier Kritzelei) beeinflussten Pollock direkt. So innovativ und experimentell die Surrealisten auch waren, so wollten sie doch ihre Arbeitsweisen als einzigartigen Ausdruck des Unbewussten sehen anstatt einfach -und radikaler - als neue Technik. Sie glaubten, dass sie sich auf eine bildliche Darstellung des Unbewussten zubewegten. Die Surrealisten blieben darin der Tradition verpflichtet, dass sie glaubten, dass das Werk einen inhaltlichen Bezug zur präexistenten Welt haben müsse (selbst wenn dieser „Inhalt" nun an letzter Stelle stand und nur im Intellekt existieren sollte). Diese letzte Voraussetzung gegenständlicher Kunst musste sich erst als reine Konvention herausstellen, bevor abstrakte oder gegenstandslose Kunst sich wirklich entfalten konnte.

 

 

Die Zeitgenossen Pollocks, Clyfford Still, Adolph Gottlieb, Mark Rothko und Barnett Newman redeten viel über ein „Thema"; alle gelangten zu ihren typischen „Figuren" eher, indem sie reduzierten und das Wesentliche betonten, als dass sie experimentell Farbe und Leinwand zusammenfügten. Letzteres war dem Ansatz von Malern wie Franz Kline und Willem de Kooning ähnlicher. Sie beschränkten sich aber meistens auf breite Pinselstriche, wohingegen die Botschaft von Pollocks Werken weniger spezifisch war: Farbe und Leinwand, ihren ursprünglichen Identitäten treu bleibend, sollten, auf neue Weise kombiniert werden, um neue Bilder zu schaffen. Die Einfachheit, Breite und Unmittelbarkeit dieses Konzeptes sind die Quelle für dreißig Jahre herrlicher abstrakter Malerei. Pollock erarbeitete sich mehrere neue Verfahren, Farbe und Leinwand zu kombinieren: die beiden wichtigsten waren das Tropfen (oder Schütten) von Farbe und das direkte Einlassen von Farbe in die unpräparierte Leinwand (Staining). Das eine betonte die Materialität der Farbe, das andere die Materialität der Leinwand. Sein Werk bot einen offenen, experimentellen Ansatz wie auch spezifische Ideen. Neben dem Tropfen und „Staining" gehörte dazu das Arbeiten auf dem Boden und von allen Seiten. Diese Prozesse implizierten eine natürliche Expansion zu großen, ja sehr großen Bilddimensionen und eine Bildgestalt, die sich aus der Entwicklung des Bildes ergab und nicht aus einer im Voraus getroffenen Wahl.10

 

 

Das unorthodoxe Verfahren des Tropfens half Pollock, von der facilen Gewandtheit des Handgelenks, des Ellbogens und der Schulter wegzukommen. Da er über einer auf dem Boden liegenden, nicht aufgespannten Leinwand stand, steigerte er die Möglichkeit, sich selbst zu überraschen, wenn das Bild endlich aufgespannt und an die Wand gehängt wurde. 11 Und da er gleichzeitig von allen Seiten arbeitete, musste er sich erst am Schluss entscheiden, wie herum das Bild endgültig hängen sollte. Diese Möglichkeiten waren früheren Malern nicht verfügbar. Entscheidungen über die Größe, die Gestalt, die Richtung, die Materialien und das Verfahren wurden mehr oder weniger durch das getroffen, was sie malen wollten. Pollock arbeitete mit Farbe und Leinwand nur, um ein gutes Bild zu finden. Das bedeutete, dass er sich so einrichten musste, damit sein Verfahren das Finden und Entdecken förderte. Um am Ende etwas Neues zu erreichen, beließ er das Bild so wenig wie möglich vorgeplant und vorgeformt. Helen Frankenthaler reagierte auf die Malerei Pollocks fast sofort; und was sie damit tat, entfaltete die abstrakte Malerei weiter und wies sie in eine Richtung, die sich als fruchtbarste erwies. Ihre Errungenschaft war es, Pollocks „Stain"-Bilder von 1951 in ein abstraktes Farbbild umzubilden. Ihr Schritt war nicht unähnlich dem zwischen Manet und dem Impressionismus. Es ist ein Schritt von emphatischen Helldunkelkontrasten zu einer nahwertigen, heller getönten Malerei, die die Farbe betont. 12

 

Genau wie die Impressionisten die Skizze in das Bild als Ganzes umgesetzt hatten, so setzte Frankenthaler das Aquarell in monumentale Malerei um. Ihr berühmtes Bild Berge und Meer (Mountains and Sea), nackt, hell, luftig und delikat, ist der entgegengesetzte Pol zu der Dichte, die typisch ist für die meiste abstrakt-expressionistische Malerei der Zeit mit ihrer pastosen Oberfläche und deutlichen Farbwertabstufungen. Um diese Frische und Freiheit des Ausdrucks zu erreichen, musste Frankenthaler sowohl die künstlerische Qualität von Pollocks Kunst erkennen, als auch die ihr innewohnenden Möglichkeiten. Morris Louis und Kenneth Noland folgten Frankenthaler, indem sie auch auf Pollock sahen. Im Jahre 1953, nachdem sie Berge und See gesehen hatten, begannen sie mit dem „jam painting", d.h. sie arbeiteten beide an derselben Leinwand, in der Hoffnung, etwas Neues zu finden. Frankenthaler und Pollock wiesen sie auf die Notwendigkeit hin, alle vorgefassten Konzepte abzuschütteln und ihre Arbeitsweise zu verändern. Ein paar Jahre später verband Louis das kraftvolle, vereinfachte Layout, das er im Werk Rothkos, Newmans, Pollocks und Stills fand, mit Frankenthalers Innovation. Ende der sechziger Jahre fügte Louis dem „Staining" die weitausholenden Dimensionen, dramatischen Impact und Dichte hinzu. Er ging über Pollock hinaus, indem er die Schwerkraft auswertete (obwohl Gorky und Sam Francis ihm darin schon zuvorgekommen waren). Dem Tropfen, Schütten und Verschütten fügte er eine Art kontrolliertes Fluten der Farben (in seinen Schleiern „Veils“) und ein gelenktes Strömen (in seinen Entfaltungen und Streifen „Unfurleds and Stripes“]) hinzu.

 

Noland nahm die von Frankenthaler entdeckte „Luftigkeit" in seine Malerei auf und verwertete die Implikationen von Pollocks Arbeitsweise, an einer auf dem Boden liegenden Leinwand von allen Seiten zu arbeiten. Dies führte ihn zum Zentrieren und zu einer Art gewichtlosem Bild, das ihm seitdem eigentümlich geblieben ist. Er demonstrierte, wie der Keilrahmen, als gerahmte Fläche betrachtet, seine eigene visuelle Logik enthielt. Noland beanspruchte wieder geometrische Möglichkeiten für die neue Malerei und initiierte den Gebrauch von leuchtenden, prononcierten und prismatischen Farben. Am wichtigsten aber meiner Meinung nach ist, dass er eine umfangreichere und größere Auswahl von Farben in die Malerei einführte, was die vorhergehenden gegenstandslosen Maler in dieser Hinsicht sehr beschränkt erscheinen ließ. Zusammen mit Louis machte er deutlich, wie der abstrakte Maler in Serien arbeiten kann, wenn er eine gute Layout-Idee hat, und dass er sich manchmal absichtlich umstellen muss, d.h. nach einer neuen Idee suchen muss. „ ... was mich an den abstrakten Expressionisten beunruhigte, war die Tatsache, dass [diese] Maler an [einer] Arbeitsweise festhielten. Morris und ich haben es besprochen . . . Wir lernten, dass wir uns nicht nur von einem Bilde aufs nächste [umstellen] mussten, sondern auch, dass wir bei einem gewissen Punkte alles in Frage stellen mussten . . . dass wir zurückgehen mussten ... dass wir das Material einfach neu behandeln mussten."13

 

 

Friedel Dzubas, der mit Helen Frankenthaler in einem Atelier zusammengearbeitet hatte, hatte Pollocks Bedeutung von Anfang an gesehen. Um 1960 waren zwei andere bedeutende Gestalten erschienen: Jack Bush und Jules Olitski. Wie Frankenthaler, Louis und Noland, so ließen Bush, Dzubas und Olitski Farbe direkt in die Leinwand ein (Staining) oder malten mit verdünnter Farbe; alle benutzten helle, klare, nebeneinander angeordnete Farben in Arrangements mit deutlichen Rändern. Das „Staining" machte es schwer, den Übergang von einer hellen, sich behauptenden Farbe zu einer anderen zu machen, ohne dabei entweder verschwommene Stellen oder scharfe Ränder zu verursachen. Betonte Ränder und gleichmäßig aufgetragene Farbe straffen die weiche Wirkung des „Staining" und machen sie steif. Mit anderen Worten, klare Rärnder und helle, gleichmäßig aufgetragener Farbe wurden durch das „Staining" nicht nur erlaubt, sondern gefördert. Vielleicht ist dies die Erklärung für die große stilistische Ähnlichkeit von so vielen Beispielen progressiver Malerei in den frühen sechziger Jahren. 14 Doch als ob sie einen Ausweg aus der Strenge und Straffheit anbieten wollten, die sie in den Werken der zwei Washingtoner Maler 15 empfanden, befassten sich Bush, Olitski und Dzubas mit exzentrischer und spielerischer Zeichnung und asymmetrischem Layout.

 

 

Der nächste wichtige Umschwung kam im Jahre 1965, als Olitski die Spritzmalerei einführte. Da gab es nun wieder eine dramatische neue Weise, Farbe und Leinwand zu verbinden. Die Bildfläche wurde nicht mehr so dünn bemalt, die Zweidimensionalität der Leinwand nicht mehr in der Kontinuität des Leinwandgewebes gegeben, sondern in der Farbe selbst, indem sie die Oberfläche bedeckte. Es war, als ob Olitski die Malerei noch einmal auf die Möglichkeiten in Pollocks Tropfmethode hinwiese. Indem Pollock die Farbe von oben auf die Leinwand tropfen ließ, stellte er die Linie als Farbe dar, machte sich aber Sorgen, dass sich „Löcher" in der Oberfläche zeigen würden. Nach Pollock erfand man Methoden, um die Leinwandfläche kontinuierlicher und gleichmäßiger mit Farbe zu überziehen: das Fluten, das Einreiben der Farbe mit einem Schwamm,   das Auftragen der Farben mittels eines Rollers. Olitski wandte alle diese Methoden an, und das Spritzen kam hinzu. Es erlaubte ihm, die Leinwand ununterbrochen mit Farbe zu überziehen und die Farben von dick bis auf dünn zu modulieren. Er konnte dabei die Farbe betonen und das Chiaroscuro als Farbe, und nicht die Linie als Farbe, was Pollock betont hatte. Das „Staining" basierte auf der weißen Leinwand und produzierte ein helles Bild; dahingegen bewirkte das Spritzen, welches die ganze Leinwand überzog, ein graueres Bild. Was die Farbe betrifft, betrachte ich diese Unterscheidung als analog zu der zwischen den Fauves und dem Impressionismus.

 

Wie die Malerei des Impressionismus war Olitskis Spritzmalerei dichter, farbwertreicher und feiner abgetönt. Indem er den malerischen Inhalt eines Bildes mit dem Farbmaterial und seiner Auftragung identisch setzte, ist Olitski der einflussreichste Maler der letzten fünfzehn Jahre geworden. In den späten sechziger Jahren benutzte er dickere Farbe, und von 1972 an war der Farbzerstäuber nicht mehr sein einziges Auftragungsmittel. Anstatt des Farbzerstäubers benutzte er nun Rollenquetscher und verschiedene Maurerkellen, um die mit Gel verdickte Acrylfarbe zu verstreichen und zu bearbeiten.16

 

Seitdem hat Olitski eine Menge malerischer Effekte eingeführt. In den frühen siebziger Jahren sah es mir so aus, als ob man Olitskis Einfluß überwinden oder durchlaufen musste, wenn man etwas Neues wollte. So betrachteten ihn auch viele junge Maler. Vielleicht erschien Pollock Louis und Noland auch zuerst so. Auf alle Fälle hat es sich herausgestellt, dass Olitskis Wichtigkeit (wie Pollocks) weniger mit spezifischen Methoden der Ausführung seiner Kunst (wie dem Spritzen oder dem ganzheitlichen Effekt) zu tun hatte, als damit, wie er unseren Begriff von der abstrakten Malerei und dem abstrakt Malerischen erweiterte. Ein weiteres Beispiel ist, wie er das Malen und das Zurechtschneiden zu zwei fast gleichmäßig entscheidenden Tätigkeiten gemacht hat. Wie Noland so hat Olitski uns für die Gestalt eines Bildes empfindlicher als je zuvor gemacht. Der erste wichtige Maler, der auf die Neuerungen Olitskis kreativ reagierte, war Larry Poons. In den späten sechziger Jahren hat er seine Art des „Stain Painting" aufgegeben (es war schon unter Olitskis Einfluss dichter, loser und unregelmäßiger geworden), und er begann, Farbe mit Gel verdickt auf die Leinwand zu gießen. Ende 1971 war er soweit, dass er ganze Eimer davon an die Leinwand schleuderte, und die Farbe dann an der Leinwand herunterströmen ließ. Poons nimmt die Leinwand von der Wand ab und legt sie auf den Fußboden. Er stellt sich dann auf eine hohe Leiter; und indem er in dieser vorteilhaften Stellung herunterblickt, „findet" er Bilder, die er dann ausschneidet. Wie Pollock richtet er sich so ein, um unbefangen zu bleiben. Und wiederum führt die höchst unorthodoxe Arbeitsweise zu einem persönlichen Idiom und einer persönlichen Expressivität. Seine Fläche von wellig herabfallenden und zusammenfließenden Farbmaterialien bewirkt eine starke Einzigartigkeit, deckt neue Farbtöne auf und schenkt dem abstrakten Bild Dichte und Gewicht (ganz im Gegensatz zur Schwerelosigkeit von Nolands Malerei).

 

Walter Darby Bannard und Stanley Boxer sind zwei weitere Maler, die sich wie Poons von Olitski die Direktheit des Ansatzes entliehen haben; dadurch haben sie ihr persönliches Gefühl für Handhabung und Farbe freigesetzt. In vieler Beziehung waren die siebziger Jahre ein an Umschwung reicheres Jahrzehnt als die sechziger Jahre. Die führenden Künstler, die in den fünfziger und sechziger Jahren erschienen, arbeiten weiterhin auf einem hohen Niveau. Im Großen und Ganzen malen sie weit mehr gute Bilder als die Maler der vorhergehenden abstrakt-expressionistischen Generation. Olitski und Noland experimentieren weiter und machen Neuerungen; Friedel Dzubas hat ein so persönliches Idiom entwickelt, dass es uns nun auch den Wert seiner früheren Werken sehen läßt. (Dzubas und Frankenthaler sind heute einflussreicher als je zuvor.) Robert Goodnough begann in den frühen siebziger Jahren eine Serie, die die Bedeutung seiner Kunst erhöhte, während Robert Motherwell eine ganz neue „offene" Serie begann, die auf „Farbfeldern" anstatt auf Schwarzweiß beruht. Gegen Ende der sechziger Jahre wurde die amerikanische abstrakte Skulptur stärker, und im Laufe der siebziger Jahre ging die Auswahl von Materialien für konstruierte Skulptur über die „moderne" Auswahl von Eisen, Stahl und Kunststoff hinaus, sodass nun auch eine Reihe von traditionellen Stoffen wie Holz, Papier, Ton, Wachs und Bronze hinzukommt (genau wie Olitski die „altmeisterlichen" Begriffe von Untergrundmalerei, Mattieren und Lasierung rettete).

 

 

Andere wichtige Entwicklungen der siebziger Jahre waren Darryl Hughtos zweite Gruppe von reifen Bildern, die er 1974 ausstellte, wie auch Dzubas Stil der siebziger Jahre, und der Stil der späten siebziger Jahre von Jack Bush. Alle bestätigen neue Möglichkeiten für die Figur-Grund-Beziehung. Seitdem erscheint sehr viel mehr möglich. Vielleicht haben Olitskis Variationen der Farbdichte andere Variationen hervorgerufen. Zeichnung, Chiaroscuro und „Raum" sind alle in die Malerei zurückgekehrt, aber auf neue, post-Pollock'sche Art. Im Ganzen sahen die späten siebziger Jahre eine allgemeine Lockerung und Befreiung, wie auch ein Ausfüllen. Die Möglichkeiten erscheinen zahlreicher als je zuvor, und es ist diese Situation, auf die die hier vertretene neue Generation reagiert hat. Obwohl dieser Überblick skizzenhaft und unvollständig ist, so hoffe ich doch, dass er einige Markierungen aufzeigt, an denen sich diese jungen Maler orientiert haben. Die von der älteren Generation erfundenen Arbeitsweisen sind nun allgemeiner Brauch im Atelier. So schneiden diese neuen Maler heute oft ihre Bilder aus der bemalten Leinwand heraus und treffen erst ganz am Schluss die Entscheidung, welche Richtung das Bild haben soll (auch nach dem Spannen). Wie neue Arten des Farbauftrags, so helfen auch solche Prozesse, die alten Gewohnheiten und Erwartungen zu umgehen und Kreativität zu fördern.

 

Gottfried Mairwöger malt so, dass die Farbe durch die Leinwand auf die Rückseite durchsickert; so sieht er erst beim Umdrehen der Arbeit, was er macht. Beim Arbeiten denkt er an die spätere Umkehrung und auch daran, was diese Arbeitsweise bei anderen Gelegenheiten ergeben hat. Während er weitermacht, wird er den Bedingungen und Möglichkeiten gewahr, die der Arbeitsweise eigen sind. Das hält seine Kunst in Schwung. Alle diese Maler erfinden neue Methoden, um die Farbe auf die Leinwand aufzutragen und zu bearbeiten: Gießen, Drücken, Schaben, Einreiben, usw. Auch benützen sie unorthodoxe Geräte: einen Lappen, einen Schwamm, einen Mopp, einen Besen, eine Schaufel, einen Rollenquetscher, eine Maurerkelle, einen Roller. Man könnte diese Geräte manchmal als Vergrößerungen von traditionellen Geräten ansehen, z.B.: einen Besen als großen Pinsel, eine Schaufel als großes Palettmesser. 17

 

 

Manche wurden erfunden, wie z.B. die Verteiler, die von Joseph Drapell und John Griefen benutzt wurden. Jennifer Durrant hat verschiedene Arten Schablonenzeichnungen und Aussparungen mittels Klebestreifen erdacht. Pollock benutzte Aluminiumfarbe und industrielle Emailfarbe; auch jetzt versucht man mit verschiedenen der Farbe hinzugefügten Materialien zu arbeiten: Sand, Zement, Gelee, Kreide, Silber- und Goldpulver, usw.18 Die Mehrzahl dieser Maler findet es am günstigsten, serienweise zu arbeiten. Es gibt eine Menge Ausnahmen: oft arbeitet ein Maler gleichzeitig an zwei oder sogar drei Serien. Jede Serie beruht gewöhnlich auf einer allgemeinen Vorstellung von der Gliederung der Bestandteile, d.h. auf einem „Layout" oder auf einer Arbeitsweise, welche ein Layout überflüssig macht (Pollock, Olitski). Diese bildliche Vorstellung oder Idee erlaubt es dem Maler, sofort anzufangen und unmittelbar zu arbeiten. Die besten Ideen scheinen mir die einfachsten zu sein, z.B. Nolands Kreise (Circles) und Olitskis Oberflächenerstellung. Die früheren gegenstandslosen Maler machten sich Sorgen, dass ohne symbolische oder physische Züge ihre Arbeiten zur Dekoration herabsinken würden. Sie betrachteten ihre Bilder als strukturell (der Dekoration oder dem „bloßen" Sinnlichen entgegengesetzt), weil sie aus nicht reduzierbaren, meistens geometrischen Elementen zusammengesetzt waren.19

 

 

Mit anderen Worten, die Maler schrieben der Geometrie einen symbolischen oder metaphysischen Wert zu. Dieselbe Angst vor dem Dekorativen oder dem „bloß" Sinnlichen erklärt auch, warum so viele abstrakte Expressionisten ihre Bilder als Symbole oder Bildfiguren betrachteten, die über sich selbst hinausweisen, statt sie einfach als Kunstwerke zu betrachten.20 Pollock und andere Maler haben aber nun dargelegt, dass abstrakte bildliche Kunst viele dekorative Züge annehmen kann, und zwar auf solche Weise, dass der bildliche Ausdruck erweitert anstatt unterminiert wird (z.B. der lebhafte, unmittelbare lmpact von Pollocks Tropfmalerei oder die dramatische Symmetrie von Louis' „Unfurleds"). Heute braucht sich die abstrakte Malerei nicht mehr zu rechtfertigen. Vielleicht ist sie deshalb nicht-ideologisch, pragmatisch, positivistisch und empirisch geworden. Das visuelle Konzept entscheidet alles. „Ich mache etwas zum Ansehen, so einfach ist es. Was ich zustande bringen möchte, ist etwas so Starkes, dass, wenn ich es mir ansehe, ich immer etwas zurückbekomme."21 Sogar formale Neuerungen soll man nur als Mittel betrachten, um etwas visuell lebendig zu machen. Der Maler soll nur soviel Neuerungen einführen, wie nötig sind, um seine Malerei gut zu machen. Gleichzeitig soll er sich so frei wie möglich halten. „Altmodische" Verfahren wie das Vergrößern kleiner Skizzen oder auf aufgespannter Leinwand mit Pinseln zu malen, sind auch noch Möglichkeiten für die Malerei. Sogar gegenständliche Bezüge werden nicht notwendigerweise ausgeschlossen. (Manchmal werden sie sogar hofiert.) Alle bilden Möglichkeiten, Mittel zu einem Bild, das es „schafft". Vor allem bemüht sich der Maler, feste Vorstellungen und Konventionen zu vermeiden, gleich ob sie übernommen oder erfunden sind. Es handelt sich eher um eine aufgeschlossene Haltung, eine Offenheit. Die Maler, die in dieser Ausstellung vertreten sind, haben diese Offenheit wie auch eine expansive Malkultur geerbt.

 

 

Sie haben sie infolge ihres Geschmacks und ihrer Empfänglichkeit für die neuere amerikanische abstrakte Kunst geerbt (genau wie die Amerikaner ursprünglich für die französische Malerei empfänglich waren). Alle diese Maler haben uns etwas Neues und Persönliches zu sagen, etwas Apartes, das unsere Aufmerksamkeit erregt. Es steht ihnen natürlich noch viel zu tun bevor. Die Kraft und die Vielfältigkeit, welche diese neue Generation wie auch die heutige abstrakte Kunst im allgemeinen erzielt haben, gibt Anlass zu Stolz und Optimismus.

 

 

Anmerkungen

 

 

1 Dies scheint die Altersspanne zu sein, in der die meisten abstrakten Maler zur Reife kommen. Es hat jedoch Ausnahmefälle gegeben, „Wunderkinder" wie Larry Poons, und „Nachzügler" wie Hans Hofmann. 1972 habe ich eine Ausstellung von damals führenden abstrakten Malern zusammengestellt. Keiner ist in dieser Ausstellung vertreten (Abstract Painting in the 70s, A Selection. Museum of Fine Arts, Boston, 14. April bis 21. Mai, 1972). Die Maler waren Walter Darby Bannard, Jack Bush, Dan Christensen, Richard Diebenkorn, Friedel Dzubas, Helen Frankenthaler, Robert Goodnough, Adolph Gottlieb, Robert Motherwell, Kenneth Noland, Jules Olitski und Larry Poons. Ich bin immer noch mit meiner damaligen Auswahl zufrieden, nur hätte ich Ludwig Sander an Stelle von Richard Diebenkorn einsetzen sollen. Nachdem ich mir seine Retrospektive 1977 im Whitney Museum angesehen habe, scheint es mir, daß Diebenkorn jetzt ein besserer figurativer als abstrakter Maler ist, und dass er in den fünfziger Jahren ein besserer abstrakter Maler als in den späten sechziger und in den siebziger Jahren war. Sander hat mich mit seiner Bescheidenheit getäuscht. Ein sehr begabter Maler ist auch Stanley Boxer, der erst nach 1972 zu seinem Idiom kam. Er ist aber jetzt über fünfzig Jahre alt, und scheint einer älteren Generation anzugehören.

 

 

2 Die erste Ausstellung der neuen Generation von abstrakten Malern hieß „New Abstract Art", im Sommer 1977 von Terry Fenton für die Edmonton Art Gallery arrangiert. Weitere Ausstellungen der neueren Kunst waren wie folgt: „14 Canadians: A Critic's Choice", 1977 von Andrew Hudson für das Hirschhorn Museum besorgt; „Four Abstract Artists", The Fruit Market Gallery, Edinburgh, Scotland, 1977 von Duncan Macmillan besorgt, mit einem Katalog-Aufsatz von Clement Greenberg; und „Certain Traditions: Recent British and Canadian Art", 1978 für die Edmonton Art Gallery in Zusammenarbeit mit dem British Council von Karen Wilkin und Muriel Wilson arrangiert. Der kanadische Kritiker Ken Carpenter benutzte den Ausdruck „Dritte Generation der Abstraktion" in Bezug auf Darryl Hughto 1975 (vergl. Third Generation Abstraction: Darryl Hughto, Arts Magazine, Feb. 1975, und auch: Joseph Drapell: Re-Inventing Abstraction, Art International, Nov./Dez. 1978).

 

 

3 In: Four Abstract Artists, The Fruit Market Gallery, Edinburgh, 19. Nov. bis 17. Dez. 1977, keine Paginierung.

 

 

4 Siehe oben, Anmerkung Nr. 3.

 

 

5 Es ist offenbar, daß die „Minimal Art" — Künstler der sechziger und siebziger Jahre auch eine altmodische und „reduzierende" Haltung der gegenstandslosen Kunst gegenüber einnahmen (im gegensatz zu einer offenen und experi-

 

mentellen Haltung). Sie erscheinen, verglichen mit ihren abstrakten expressionistischen Vorbildern, beschränkt (hauptsächlich Newman und Reinhardt), genau wie die gegenstandslosen Maler der dreißiger Jahre, verglichen mit ihren Wegbereitern, beschränkt erscheinen. In beiden Fällen handelt es sich hauptsächlich um eine Abstraktion einer Abstraktion, d.h. mehr um eine alte Idee als eine neue Realität.

 

 

6 Die Unterscheidung stammt von E.H. Gombrich: Art and Illusion, New York, 1960. Wenn ich aber das Wort „machen" benutze, meine ich nicht, wie Gombrich, etwas, das als ein funktioneller Ersatz für etwas schon in der Welt Existierendes dient. Ich meine, etwas Neues in der Welt „um der Kunst Willen" machen. Da Gombrich meint, dass „Illusion" oder „das Anpassen" sich um der Kunst willen entwickelte, konnte ich ihm folgen und sagen, dass das „moderne Machen" über das „Anpassen" hinausgeht, auch um der Kunst willen (siehe auch: Meditations on a Hobby Horse, London, 1963, S. 1-11).

 

 

7 Der Ausdruck stammt von Darby Bannard, siehe seinen Aufsatz: Morris Louis and the Reconstructed Picture, Studio International, Juli/August 1974, Band 188, Nr. 968, 5. 18.

 

 

8 Jackson Pollock: My Painting, in: Possibilities 1, New York, Winter 1947-48.

 

 

9 Pollock hatte einmal die Absicht, Bildhauer zu werden. Vielleicht erklärt das seine sehr physische Haltung dem Medium gegenüber. Ich sollte auch andere Künstler erwähnen, besonders Hans Hofmann und den frühen Clyfford Still. Ihr Verlass auf ein Messer oder eine Spachtel bot noch eine Alternative zu dem Malen mit einem großen Pinsel und half dabei, eine freiere Situation anzudeuten.

 

 

10 Pollock malte einige sehr große Bilder, gleich nachdem er die Tropfmethode entdeckte. Während dieser Periode malte er eine Serie von sehr langen, schmalen Friesen. In beiden Fällen wurde das Format ohne Zweifel von seiner neuen Arbeitsweise angedeutet.

 

 

11 Pollock, der seit mindestens den frühen vierziger Jahren an nicht aufgespannten, an der Wand befestigten Leinwänden gearbeitet hatte, war in dieser Hinsicht sehr innovativ, wenigstens für einen abstrakten Maler. Bannard soll manchmal auf eine nicht aufgespannte Leinwand gemalt und seine Bilder ausgeschnitten haben.

 

 

12 Es ist aus ihrem Bild Painted on 21st Street (1950-1951) zu entnehmen, dass Frankenthaler schon zu einer farbenfreudigeren, fein abgestuften, dem Impressionismus ähnlichen Malerei gelangte, bevor sie „Staining" praktizierte. (Das Gemälde wurde kürzlich in einer Ausstellung: The Fifties: Aspects of Painting in New York im Hirschhorn Museum in Washington ausgestellt.) Unsere Kenntnis der gesehenen Welt stellt sich meistens in Licht und Schatten dar (wie man in einer Schwarzweißfotographie sehen kann). Wir sehen Farbe, wie intensiv und deutlich sie auch immer ist, als Teil einer nach „Werten" geordneten Welt. In der Malerei gewinnt die Farbe die Oberhand; sie wird das Bestimmende, wenn Werte spezifisch auf die Farbe hin erstellt werden. Eine Art, dies zu tun, ist offensichtlich, indem man die Hell-und Dunkelunterschiede, die Farbwerte, mehr oder weniger dämpft. Dadurch kommt die Farbe, ihr Farbton und ihre Tiefe, zum Vorschein. Da das Auge ein größeres Unterscheidungsvermögen für das hellere Ende des Spektrums hat, neigt die Malerei, gleich ob es sich um den französischen Impressionismus oder die abstrakte Kunst nach Pollock handelt, zu hellen, intensiven Farbtönen und geringen Wertabstufungen.

 

 

13Besprechung mit Paul Cummings, 9. Dezember 1971, Archives of American Art, S. 2 (von Noland etwas abgeändert).

 

 

14 In den frühen bis zu den mittsechziger Jahren sah alle Malerei nach Pollock ähnlich aus; man identifizierte sie zuerst hauptsächlich wegen ihrer Betonung der Farbe. Jedoch blieb Pollocks eigentliche Bedeutung unklar; fast keiner sah großen Wert in den Werken von Bush oder Dzubas. Die Werke von Malern wie Ellsworth Kelly und Frank Stella, deren der Wesensart mehr graphisch als malerisch ist, und die mehr mit Pop Art oder Minimal Art als mit der abstrakten Malerei verknüpft sind, wurden damals mit ihr verwechselt. Es hat auch nicht lang gedauert, bis die Malerei nach Pollock wieder aus dem Brennpunkt verschwand. Dies geschah von Mitte der sechziger Jahre an und ist in den darauffolgenden fünfzehn Jahren so geblieben. Während der ganzen siebziger Jahre war es die Richtung, die am meisten „out" war von all den wichtigen Kunstbewegungen, die zuerst in den sechziger Jahren identifiziert wurden —Pop, Minimal, Earth, Concept, Performance, usw. „Out" sein heißt hier wirklich, in New York aus der Mode sein. Vielleicht ist das ein Grund, warum so viel gute abstrakte Kunst in Distanz zu New York entstanden ist.

 

 

15 Weitere Maler der „Washingtoner Schule" waren Gene Davis, Frank Mehring und Thomas Downing.

 

 

16 Zwei wichtige Neuerungen sollten hier erwähnt werden. Die erste ist die Einführung von Acrylfarben, die in den fünfziger Jahren entwickelt wurden und in den sechziger Jahren weitgehend verbreitet gebraucht wurden. Der Stoff besteht aus Acrylharz; manche Acrylfarben sind in Wasser löslich und werden nach dem Trocknen fest. Die meisten Maler benutzen heute Acrylfarbe, weil sie leichter zu behandeln ist, billiger ist, und man die Leinwand nicht erst zu grundieren braucht. Die zweite Neuerung besteht aus dem Benutzen des „Gels", das Masse und Durchsichtigkeit verleiht. Diese Neuerungen könnten mit den schweren Ölen (wie Mohnöl) verglichen werden und den Tubenpigmenten, die im 19. Jahrhundert in Gebrauch kamen und von den Impressionisten weitgehend ausgewertet wurden.

 

 

 

17 Man könnte ähnliches von den Impressionisten sagen, die oft einen Pinsel aus grober Schweinsborste gebrauchten. Wir sollten uns daran erinnern, dass Courbet das Publikum schon durch den „übertriebenen" Gebrauch des Palettmessers überrascht hatte.

 

 

18 Um Pollocks Leistung zu erklären, habe ich seinen Ansatz mit der Collage und mit der konstruierten Skulptur verglichen. Ich muss aber betonen, dass Pollock immer ein Bild erzielen wollte. Manche Maler haben Pollock und die Malerei nach Pollock so interpretiert, dass sie ihre Leinwände direkt an die Wand hängen. Dieses Verfahren ist gewiss eine noch physischere Stellungnahme der Leinwand gegenüber, aber es war bisher nicht erfolgreich. Um als Bilder zu wirken, müssen die Leinwände aufgespannt werden, jedenfalls bisher. Abstrakte Bilder bedürfen auch des Rahmens, trotz der vielen Versuche, ohne ihn auszukommen.

 

 

19 Das war der Fall bei Mondrian. Seine Ideen halfen ihm, eine neue Art Bild zu erzielen, aber dann wurden dieselben Ideen eine Verpflichtung. Malewitsch ist ein weiteres Beispiel. In seiner gegenstandslosen Periode beschränkte er sich auf die „suprematistischen Elemente": gelbe, rote und blaue Rechtecke, Dreiecke und Kreise. Sie wurden immer auf einen weißen Hintergrund aufgetragen, welchen er als „Symbol der Ewigkeit" betrachtete. Wie auch bei dem späten Kandinsky, schränkte diese Denkweise Malewitsch ein, was sein Formenvokabular betraf, obwohl er seine Aufmerksamkeit eher auf Vokabular als auf die bildliche Syntax richtete.

 

 

20 Eine gewisse ideologische Strenge erklärt vielleicht wenigstens teilweise, warum der Abstrakte Expressionismus nur so kurz blühte. Die Hauptmaler waren in den späten vierziger Jahren zur Reife gekommen; bis Mitte der fünfziger Jahre hatten Newman, Rothko, Still wie auch Kline, de Kooning und Pollock ihre besten Werke schon größtenteils vollendet. Hofmann, Motherwell und Gottlieb, die zuerst als weniger radikal erschienen, erreichten Kontinuität und malten deshalb weit mehr gute Bilder. (Hofmanns weitreichendes Experimentieren und die Verschiedenheit seiner Effekte machten ihn nächstwichtig nach Pollock unter den Malern der älteren Generation, die von den heutigen abstrakten Malern bewundert werden.

 

 

21 Dan Christensen, von Donald Bartlett Doe zitiert, in: Paintings from the Seventies, UNO Art Gallery, Omaha, Nebraska, 5.-28. März 1980.