Mehrere große und wichtige Werkabschnitte im Oeuvre von GOTTFRIED MAIRWÖGER markieren — aus kunsthistorischer Sicht — eine verbindende Zwischenposition innerhalb der zu Beginn der 1960er Jahre in den USA entstandenen Farbfeldmalerei Colorfield Painting und dem ihr vorausgegangenen abstrakten Expressionismus. Mit Recht lässt sich bei MAIRWÖGER auch auf eine radikal abstrahierte Gegenständlichkeit im Zeichen der Landschaft hinweisen, wie sie innerhalb der österreichischen Entwicklungsgeschichte der Malerei im 20. Jahrhundert von GERSTL und BOECKL bis hin zu den großen abstrakten Landschaften eines WOLFGANG HOLLEGHA reicht.
Eine spezifische Eigenheit und zugleich eine besondere Qualität der Malerei MAIRWÖGERS ist der freie, beherrschte Umgang mit Farbe. Sie wird mit kalkulierter Geste voller Verve auf Papier und Leinwand gesetzt. Die Farbe ist MAIRWÖGERS eigentliches Thema, um das alle Überlegungen kreisen. Der Bezug des Künstlers zu ihr ist sinnlich und intellektuell zugleich, immer aber auch faktisch orientiert, auf das Handwerkliche, den Umgang mit der Materie und deren Weiterentwicklung gerichtet.
MAIRWÖGERS Kompositionen sind flächig betont, frei ausschwingend. Sie sprengen gleichsam das Bildformat und nützen — oft unter deutlicher Markierung der Bildränder — das helle einladende Weiß der Leinwand, auf der der Künstler mit stets neu aktiviertem Einfühlungsvermögen für Spannung und farbliche Harmonie vielfarbige Akkorde setzt. Breite flächige Partien werden durch schmalere, linear anmutende Farbverläufe ergänzt und verschiedentlich im Sinne genau gesteuerter Farbüberschneidungen der Komposition eingegliedert. Da und dort nützt der Maler Verdünnung und Transparenz bestimmter Farben, lässt sie behutsam ineinandergreifen und bedient sich eines für ihn sehr typischen Kolorits, dem man eine gelungene Symbiose von Naturnähe, Naturverständnis und einer überlegten artifiziellen Vorgangsweise attestieren kann, zu der sich der Künstler kontinuierlich bekennt.
Maßgebend für MAIRWÖGER ist, bei allem Kalkül, der Fluss der Farbe, die aus dem fortlaufend entwickelten malerischen Geschehen organisch hervortretende Formenverkettung und Formenbestimmung. Sie beruht nicht zuletzt auf jener schwankenden, im Malakt hervortretenden Emotionalität, die mit dem Risikofaktor freier Malerei zusammenhängt und sich mit spontaner Kombiniergabe verbindet. GOTTFRIED MAIRWÖGER malt ohne Netz. Was er macht, basiert auf solidem Rüstzeug und andauerndem Exerzitium, unterliegt aber auch ganz und gar der momentanen Eingebung und einem Improvisationsvermögen, welches das jeweilige Vorherige fortzuführen versteht und mit höchster Konzentration Werdegang und Fertigstellung der Komposition im Auge hat.
Der in den 1950er Jahren oft gemachte, auf die Entstehung von Kunst gemünzte Vergleich zwischen nonfigurativer, abstrakter Malerei und dem Wesen, beziehungsweise Einfluss der Improvisation im Jazz, hat viel für sich und ist auch heute noch ein guter Hinweis auf Genesis und Komplexität der genannten Sparten und deren grundsätzlicher Verwandtschaft in diesem Punkt. Sozusagen aus dem Nichts ein Gemälde mit Anspruch zu machen ist sicherlich nach wie vor der schönste Lohn für jeden Maler, der bewusst und von Zero an die Konfrontation mit der weißen Leinwand sucht.
Die großzügigen, weiträumigen Bilder des zu früh verstorbenen Oberösterreichers, der auch in den USA erfolgreich war, besitzen Leichtigkeit und Rhythmus. Wie der Künstler malt, Farbverläufe steuert und kraftvolle Akzente setzt ist genau bestimmt, tektonisch geklärt und vielfach durch das ausgezeichnet, was man früher und etwas ungenau als die »Stimmigkeit« eines Kunstwerkes bezeichnete. MAIRWÖGER vermeidet in seiner Malerei jede zu platte oder zu deutliche Assoziation zur Außenwelt. Qualität und Gehalt eines Gemäldes sind die hoch gesteckten Ziele jedes neuen Anlaufs und das Mehr an Erkenntnisgewinn, der daraus resultiert.
Zur Dokumentation dessen, was hier knapp zusammengefasst über die Malerei GOTTFRIED MAIRWÖGERS gesagt wurde, folgen drei ebenso qualitätsvolle wie charakteristische Werkbeispiele, die sich alle in oberösterreichischen Sammlungen befinden. Das älteste der Gemälde, 1981 entstanden, gehört seit 1996 dem Kunstmuseum Lentos in Linz, dessen Vorgänger, die Neue Galerie der Stadt Linz, bereits in der Mitte der 1970er Jahre ein kleines, 1973 gemaltes Bild von MAIRWÖGER erwarb. 1978 folgte der Ankauf einer gleichfalls 1978 entstandenen größeren Arbeit, betitelt »Family size« [140 x 180 cm]. Das hier abgebildete große Format aus 1981 mit dem Titel »Under milk wood« misst 172 x 211cm und ist im besten Sinn des Wortes ein Museumsbild. Mairwöger hat es während eines längeren Studienaufenthaltes in New York gemalt, wo er auch zu einer Einzelausstellung in der bekannten Galerie von ANDRE EMMERICH eingeladen wurde. Auf die Farbigkeit dieses Gemäldes bezogen, die Dominanz des differenziert ineinander greifenden gelblich-grünen Farbfeldes, ist es ein ebenso feinnerviges wie großzügiges Bild, das nur an seinen Rändern stärker akzentuierte Farbflecken, Ausläufer und Inseln in verschiedenen Blaus, in Rosa, Grün und Braun aufweist. Die flüssig, mit Bedacht auf das Durchscheinen der Farben in Öl gemalte Leinwand [135 x 230 cm], ist in seinem Kolorit gegenüber dem Lentos-Bild um vieles kräftiger, in seinen Bausteinen deutlicher voneinander abgegrenzt und zumindest nach außen hin vitaler gemalt. Neigt »Under milk wood« zu einer gewissen Monochromie und damit zu einem verbindlichen Grundton, so sind in diesem Bild Farbfelder und vergleichbare Kompositionselemente deutlicher, kontrastreicher gesetzt und expressiv in Fluss gebracht.
In Privatbesitz schließlich — Schloss Ottensheim an der Donau — befindet sich das dritte Werkbeispiel unserer Auswahl, ein ungewöhnliches Ensemble aus vier extrem hochformatigen, sehr schmalen Leinwänden [je 420 x 80 cm], die — als nicht ausgeführte Entwürfe für Kirchenfenster — in den Jahren 1982-83 entstanden. Eng nebeneinander gehängt erweist sich die komprimierte Gruppierung als intensiv bewegter Farbraumkörper von großer Kraft und gleichartiger, durchgehaltener Rhythmik.
MAIRWÖGER trägt die Farbe satt und leuchtend auf, in schmalen von oben nach unten verlaufenden Bahnen, die sich verschiedentlich überlappen und ein wenig wie Rinden aussehen. In ihrer Abfolge von links nach rechts verdeutlicht sich die offensichtliche Absicht der ursprünglich für den Sakralraum geschaffenen, jetzt eng zu einem geschlossenen Großformat vereinten Werk. Von links nach rechts gesehen leiten die vier Bildteile vom Dunklen ins Helle über und lassen sich dank ihrer herausfordernden, aktivierenden Malart ohne Schwierigkeiten in Kontext zu Religion und Sakralraum stellen.
PETER BAUM